Ti Amo

"Ti Amo" Digital Photography

Daniel Rajcsanyi setzt sich in „Ti Amo“ mit den Sphären der Zuordnung von Trieb und Intellekt zwischen unterschiedlichen Spezien auseinander. Auf der Fotografie gleitet der Künstler von einer Poledancestange ab und streckt die rechte Hand zu einem Pferdekopf. Die beiden Lebewesen berühren sich und es entsteht eine friedliche, schöpferische Spannung zwischen den beiden. Es kann hineingedeutet werden, dass das Pferd den Künstler gewissermaßen neu erschafft, erdet und ihn von seiner Lüsternheit befreit. Die Pose des Künstlers ist nämlich hocherotisch. Er hat einen roten Stringtanga aus Leder an und gleitet an dem sexualisierten Objekt Poledancestange hinunter. Michelangelo hat 1508 „Die Erschaffung Adams“ inszeniert. In dieser Darstellung ist der Gottvater auf der rechten Seite und Adam auf der linken Seite. Der Gottvater wird aus einem menschlichen Gehirn entspringend dargestellt. Er steht gewissermaßen für die Vernunft, den Intellekt, die Ordnung und die Ruhe. Diese überträgt er auf Adam, indem sich ihre Fingerspitzen berühren und die Weisheit des Gottvaters gewissermaßen auf Adam übergeht. Analog auf „Ti Amo“ angewandt, zeigt das Pferd dem Künstler den Weg in die Weisheit, in die Ordnung und schafft die Lüsternheit und Triebhaftigkeit, die auf der linken Seite des Künstlers herrscht von dannen. An diesem Punkt beginnt die Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz und Wahrnehmung. Steht nicht das Tier für Zügellosigkeit? Kommt doch schlichtweg das „Animalische“ aus dem Tierreich, so muss doch der Trieb auch in diesem verortet sein. Das Pferd in „Ti Amo“ ist gesäumt von Eleganz und Gepflegtheit. Sein Schweif ist gepflegt und geglättet, das Fell wirkt gebürstet. Wäre es ein Mensch, würde ihm das Attribut „gepflegt bürgerlich“ anhaften. So wirkt im Gegensatz dazu das Haar des Künstlers verloren und zerzaust. Eine Ordnung ist nicht zu erkennen, vielmehr eine Getriebenheit als Folge von Exzess. Eben diese Auseinandersetzung, der innere Kampf im Menschen mit seiner Triebhaftigkeit wird in der Mythologie dargestellt durch Zentauren. Diese sind Wesen, die typischerweise eden Unterkörper eines Pferdes haben und den Oberkörper eines Menschen. So zeigt Sebastiano Ricci 1715 die „kentauromachie“. In dieser kämpfen Menschen gegen die Zentauren. Es ist eine kriegerische und gewaltvolle Darstellung, die den Kampf zwischen Trieb und Intellekt darstellt. Hier schafft der Künstler die Wendung, indem er die Paradigmen umkehrt. Der Pferdekopf bringt, wie oben dargestellt die Weisheit und der nackte Körper des Menschen ist offen und kommunikativ, schon fast einladend. So wird eine Atmosphöre der Ruhe und der Ordnung geschaffen, in völliger Abwesenheit von kriegerischer Auseinandersetzung oder Gewalt. Der Künstler hebt sich vielmehr aus der Triebhaftigkeit in die Geistesstärke des Pferdes, wird dabei selber zu einer Art Tier. In der Auseinandersetzung mit den Kentauren wurde es immer idealisiert, wie wichtig die Beherrschung des sexuellen Dranges ist. Dabei wurde stets die sexuelle Begierde als ein mit kriegerischen Mitteln zu bekämpfendes Begehren angesehen, wie auch in der „Zentaurenschlacht“ von 1492. In „Ti Amo2 setzt sich dieser Paradigmenwechsel fort: Sexualität wird nicht als abstrakt existierendes Externum begriffen, dass es zu kontrollieren gilt, sondern kann in der Lebensrealität als etwas friedliches und in der Koexistenz Frieden schaffend, verstanden werden. „Ti Amo“ ist auf der Stadtfarm entstanden. In diesem Umfeld leben die Pferde und werden normalerweise mit Scheuklappen beritten, um nichts von ihrem Umfeld mitbezubekommen und nicht vom Weg abzukommen. Hier ist jedoch das Pferd freien Blickes und der Künstler hat eine robotisch anmutende Brille auf. Die Scheuklappen sind sinnbildlich beim Menschen zu finden. Daher müssen die Sphären neu zugeordnet werden und sich stets die Frage gestellt werden: Sind Trieb und Intellekt nicht eine Einheit und nur jeweils die andere Seite der gleichen Medaille?




Ti Amo fand im Rahmen der Feldversuche September 2021 in Wien statt


Anschließende Performance by Daniel Rajcsanyi & Valentino Skarwan


"Ti Amo " Performance by Daniel Rajcsanyi & Valentino Skarwan